Szenarienentwicklung mit der Cross-Impact Bilanzanalyse
Seit ihrer Publikation im Jahr 2006¹ hat sich die Cross-Impact Bilanzanalyse (CIB) international vor allem als Methode zur systematischen Konstruktion von qualitativen oder semi-quantitativen Szenarien etabliert.² Die Besonderheit der CIB liegt darin, dass sie qualitatives Wissen zu den Einflussbeziehungen zwischen Szenariofaktoren algorithmisch verwerten kann und so Komplexität auch dann behandelbar macht, wenn die untersuchte Thematik ganz oder zu wesentlichen Teilen durch qualitatives Wissen beschrieben ist.³
Der Ansatz der CIB besteht darin, ein System, dessen Zukunftsraum durch Szenarien erschlossen werden soll, als qualitatives Einflussnetzwerk aufzufassen. Qualitative Netzwerke zeichnen sich dadurch aus, dass jeder Knoten des Netzwerks nur eine begrenzte Anzahl diskreter, qualitativ beschreibbarer Zustände einnehmen kann. Die Pfeile zwischen den Knoten stehen abkürzend für eine Matrix, die angibt, welcher Zustand des Quellknotens welchen Zustand des Zielknotens fördert oder hemmt. Als Ergebnis der wechselseitigen Förderungen und Hemmungen zwischen den Knoten stellen sich "konsistente Netzwerk-Konfigurationen" ein. Jede davon bildet ein selbststabilisierendes Geflecht von Knotenzuständen.
Für eine Szenarioanalyse werden die wichtigsten Faktoren der untersuchten Zukunftsentwicklung als Knoten des Netzwerkes definiert. Die wesentlichen Zukunftsalternativen für die Faktoren (typischerweise 2-4) werden den Knoten als mögliche Knotenzustände zugewiesen. Qualitative Erkenntnisse über die Einflussbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Zukunftsverläufen werden als Förderungen und Hemmungen auf einer Stufenskala (z.B. von -3...+3) eingeschätzt und zu einer "Cross-Impact-Matrix" zusammengefasst. Aus diesen Daten können anschließend mit Hilfe des CIB-Bilanzalgorithmus die konsistenten Szenarien bestimmt werden. Der Ablauf des Verfahren wird auf der Seite Methodendurchführung anhand eines einfachen Beispiels demonstriert.
Die erforderlichen Informationen für die CIB-Analyse können durch Literaturauswertungen, Expertenbefragungen oder durch die eigene Kompetenz der durchführenden Personen gewonnen werden. Da die CIB Faktoren und Wissen unterschiedlichster Form in die Analyse einbeziehen kann, eignet sie sich auch für interdisziplinäre Fragestellungen und diskursive Szenarioanalysen. Aufgrund ihres algorithmusbasierten Auswertungsverfahrens ist sie in der Lage, Möglichkeitsräume vollständiger abzusuchen, als dies durch rein diskussionsbasierte Szenarioanalysen möglich ist. Sie kann dadurch helfen zu vermeiden, dass wichtige Szenarien übersehen werden, oder dass Szenarien das verfügbare Systemwissen nicht vollständig widerspiegeln.
¹ Weimer-Jehle W. (2006): Cross-Impact Balances: A System-Theoretical Approach to Cross-Impact Analysis. Technological Forecasting and Social Change, 73:4, 334-361.
³ Die CIB führt die Konzepte der morphologischen Analyse (Zwicky 1969), der Cross-Impact-Analyse (Gordon und Hayward 1968) und der Nash-Gleichgewichte (Nash 1951) zusammen.